Reinhard Lauer

Interview mit Reinhard Lauer

Viele Ärzte verstehen die gesundheitlichen Folgen von Amalgam nicht

Das in Amalgam-Füllungen enthaltene Quecksilber kann zu schwerwiegenden Vergiftungen führen, sagt Reinhard Lauer vom Bundesverband der Beratungsstellen für Umweltgifte e.V. Doch es fehlt an Methoden, um Quecksilbervergiftungen eindeutig zu diagnostizieren. Für die Zahnbehandlung sieht Lauer zahlreiche bessere Alternativen, die einigen Patienten oftmals viel Leid ersparen würden.

 

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Seit Jahren sind Amalgam-Füllungen umstritten, insbesondere aufgrund des Risikos einer Quecksilbervergiftung. Welche Symptome treten bei einer solchen Vergiftung auf?

Reinhard Lauer: Es gibt eine Vielzahl von möglichen Symptomen. Dazu gehören neben Allergien gegen die Inhaltsstoffe von Amalgam sowie dem typischen metallischen Geschmack im Mund auch verschiedene Entzündungen, beispielsweise in der Mundhöhle oder an der Haut. Hinzu kommen psychische Auswirkungen wie

  • Ängstlichkeit, Menschenscheu, Aggressivität, Psychosen, krankhaft gesteigerte Erregung, Autismus, Hyperaktivität, Jähzorn

Die körperlichen Symptome können unterschiedlich schwer ausfallen. Sie reichen von chronischer Erschöpfung, Migräne, Übelkeit und Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen sowie Schwindel und Benommenheit. Weitere schwerwiegende Folgen sind beispielsweise:

  • Schilddrüsenentzündungen, Hormonstörungen, Schmerzen an Halswirbelsäule, Rückgrat und Bandscheiben, Herz-, Nieren- und Leberschäden Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Nierenschädigung, Endometriose, Unfruchtbarkeit,
  • Sprach-, Seh- und Hörstörungen, Multiple Sklerose, Alzheimer, Parkinson, ALS

Leider verfügt die wissenschaftliche Medizin über keine Diagnostik, um eines dieser Symptome konkret mit Quecksilber als Ursache in Beziehung zu setzen. Das bedeutet, dass Quecksilber in der Schulmedizin nach wie vor praktisch als ungiftig gilt. Symptomlisten wie diese finden sich daher lediglich in der alternativen Medizin.

Welche Hilfe bietet der Bundesverband Patienten, die mit Vergiftungserscheinungen kämpfen?

Reinhard Lauer: Wir vom Bundesverband der Beratungsstellen für Umweltgifte, insbesondere Amalgam, Schwermetalle und Holzschutzmittel e.V. (BBFU e.V.) beraten über die Gefahren der chronischen Quecksilbervergiftung sowie über diagnostische und therapeutische Optionen. Zudem helfen wir bei der Suche nach geeigneten Ärzten, Zahnärzten, Laboren sowie Heilpraktikern. In manchen Fällen unterstützen wir auch bei der Auswahl von Gutachtern und Rechtsanwälten.

Trotz der anhaltenden Kritik gehört Amalgam bei vielen Zahnärzten weiterhin zum festen Bestandteil der Behandlung. Was müsste sich am Gesundheitswesen und der Umweltpolitik ändern, um den Einsatz von Amalgam langfristig zu stoppen?

Reinhard Lauer: Im Gesundheitswesen sind verschiedene Lösungsansätze denkbar, um die Verwendung von Amalgam bei der Zahnbehandlung zu unterbinden, zum Beispiel:

  • Ein vollständiges, international gültiges Verbot der Nutzung von und dem Handel mit Quecksilber
  • Ein Komplettverbot des Medizinprodukts Amalgam
  • Ein Verbot der Nutzung von Quecksilber in der Medizin, welches Auswirkungen auf Amalgam-Füllungen und verschiedene Impfstoffe hätte
  • Keine Erstattung der Kosten von Amalgam-Füllungen durch Krankenkassen und Krankenversicherungen
  • Fortbildungen für Ärzte und Zahnärzte in der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen, die durch Quecksilber verursacht werden

Zudem wünschen sich zahlreiche Patienten die Kostenerstattung durch die Krankenkassen für

  • Die Entfernung der Amalgam-Füllungen mit umfassendem Schutz vor zusätzlicher Quecksilbervergiftung
  • Ein entsprechendes Zahnfüllmaterial wie Komposit
  • Die Diagnostik und Therapie von durch Quecksilber verursachten Erkrankungen durch einen entsprechend ausgebildeten Arzt

Die Umweltpolitik hingegen ist bereits auf einem guten Weg, hat aber leider kaum Einfluss auf die Medizin.

In Bezug auf die juristische Situation für Patienten ist festzuhalten, dass es nach den Regeln der Schulmedizin bisher kaum möglich ist, die Vergiftung durch Quecksilber aus Amalgam-Füllungen im Einzelfall zu beweisen. Darüber hinaus wurde in einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln im Jahr 2013 festgestellt, dass es auf die Vergiftung und einen entsprechenden Nachweis gar nicht ankommt, wenn der Zahnarzt entsprechend der üblichen Standards gearbeitet hat. Und Amalgam gehört seit vielen Jahrzehnten zum Standard.

Ab 1. Juli 2018 soll die Verwendung von Amalgam durch einen Beschluss des EU-Parlaments zumindest eingeschränkt werden. Das gilt jedoch nur für bestimmte Risikogruppen. Warum wird der Einsatz nicht für alle Patienten verboten?

Reinhard Lauer: Die EU-Kommission arbeitet seit über zehn Jahren im Auftrag des EU-Parlaments an einer eigenen Quecksilber-Strategie. Dies wurde nun überlagert von dem seit 2009 verhandelten und 2013 beschlossenen weltweiten Minamata-Übereinkommen, das vor einigen Monaten von der EU ratifiziert wurde. Im Rahmen dieses Beschlusses wurden auch die genannten Einschränkungen für die Amalgam-Behandlung beschlossen. Deutschland hat das Übereinkommen jedoch noch nicht ratifiziert.

Die Amalgam-Gegner wollten seit Beginn der Verhandlungen zum Minamata-Übereinkommen erreichen, dass das dort vorgesehene Komplettverbot für Quecksilber nicht bei Amalgam aufgeweicht wird. Leider waren die zahnärztlichen Verbände erfolgreicher: Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, das Council of European Dentists und die FDI World Dental Federation haben Ausnahmen für Amalgam erreicht. Sie haben auch die Weltgesundheitsorganisation für ihre Lobbyarbeit gewinnen können.

Zudem hat das UN-Umweltprogramm, unter dessen Regie das Übereinkommen ausgearbeitet wurde, gar kein Mandat für Fragen der Gesundheit, sondern nur für die Umwelt. Der Schutz der Patienten vor Quecksilbervergiftung durch Amalgamfüllungen wäre praktisch nur eine Art „Nebenwirkung“ gewesen, ähnlich wie in Schweden. Dort wurden Amalgam-Füllungen abgeschafft, aber nur aus Umweltgründen. Die Auswirkungen auf die Gesundheit ihrer Patienten werden auch dort von den meisten Ärzten nicht verstanden.

Würden Sie als Experte für Umweltgifte einem generellen Amalgam-Verbot zustimmen?

Reinhard Lauer: Ja, unbedingt. Es gibt für alle Varianten der zahnärztlichen Füllungstherapie geeignete Alternativen zu Amalgam. Im Hinblick auf die vielfältigen Krankheiten, bei denen die Schulmedizin Quecksilber als Ursache jedoch zurückweist, wäre jedes andere Füllmaterial mit Abstand billiger und würde zudem viel Leid durch vermeidbare chronische Krankheiten ersparen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Lauer.